Vertragsbindung
als Freiheitsvoraussetzung

Freiheit im Sinne des Grundgesetzes bedeutet positive Gestaltungsmacht. Verfassungsrechtlich notwendige Voraussetzungen dieser Gestaltungsmacht sind die Vertragsbindung und die daraus folgende Vermögenshaftung des Schuldners. Von der GmbH als Schuldnerin wird jedoch nur die Zurverfügungstellung einer statisch niedrigen Stammkapitalziffer gefordert. Das Buch zeigt auf, dass dieses Haftungsprivileg auf einem begrenzten Verständnis von Freiheit als Abwesenheit äußerer Beeinträchtigung beruht, während die Gestaltungsmacht der Gesellschaftsgläubiger eher durch eine dynamische und der Unternehmensentwicklung angemessene Kapitalausstattung zu erreichen wäre.

Ausgangspunkt
Ausgangspunkt des Buches ist ein ganz praktischer: Gewährt der GmbH-Gesellschafter seiner Gesellschaft ein Darlehen, so wird er in der Insolvenz der GmbH nachrangig nach allen anderen Gläubigern befriedigt, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Er geht damit in den meisten Fällen leer aus und steht faktisch so, als hätte er Eigenkapital eingebracht und kein Fremdkapital. Laut § 13 Abs. 2 GmbH haftet den Gesellschaftsgläubigern nur das Gesellschaftsvermögen, die faktische Behandlung von Gesellschafterdarlehen als Eigenkapital bedarf also der Rechtfertigung.
Vertragsbindung als Voraussetzung vertraglicher Gestaltungsmacht
Da die Regelung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO mit ganz unterschiedlichen Begründungen eine sehr breite Zustimmung erfährt, liegt die Vermutung nahe, dass die erforderliche Rechtfertigung in einem allgemein konsensfähigen Rechtsprinzip gründet. Im vorliegenden Buch wird der Grundsatz der Vertragsbindung als entsprechende Rechtfertigung herangezogen, der zwar älter ist als die Verfassung, sich aber nahtlos daraus herleiten lässt: Die Verfassung umreißt ein klares Leitbild positiver Freiheit im Sinne individueller Gestaltungsmacht, deren Voraussetzungen der Staat zu schaffen bzw. zu sichern hat. Ein wichtiges Mittel privater Freiheitsausübung ist dabei der Vertrag, der nur dann individuelle Gestaltungsmacht gewährt, wenn er die Parteien an ihre Leistungsversprechen bindet. Wenn der Vertragspartner sich nicht an sein Leistungsversprechen halten müsste, wäre eine selbstbestimmte Gestaltung der eigenen Rechtsverhältnisse im Vertragswege kaum möglich.
Einschränkung vertraglicher Gestaltungsmacht durch statische Stammkapitalziffer
Der Grundsatz der Vertragsbindung führt angesichts der bezweckten Gestaltungsmacht der Gläubiger grundsätzlich zur Vollhaftung der wirtschaftlich begünstigten Partei, sei diese eine natürliche Person, die den Vertrag selbst schließt, oder ein Gesellschafter der vertragsschließenden Gesellschaft. Die persönliche Vermögenshaftung der GbR- und OHG-Gesellschafter für die Verbindlichkeiten ihrer Gesellschaft ist also direkter Ausfluss des Grundsatzes der Vertragsbindung. Im Kapitalgesellschaftsrecht wird die persönliche Haftung der Gesellschafter eingeschränkt, den Gläubigern der GmbH haftet allein das Gesellschaftsvermögen und nicht auch das persönliche Vermögen des Gesellschafters. Diese Verkürzung des Haftungsvermögens und damit der vertraglichen Gestaltungsmacht der Gläubiger ist vor dem Hintergrund der Vertragsbindung rechtfertigungsbedürftig. Problematisch ist vor allem die Festlegung einer statischen und relativ niedrigen Stammkapitalziffer in § 5 Abs. 1 GmbHG. Diese erweist sich als philosophische Sollbruchstelle des Kapitalgesellschaftsrechts, die mit unserer Verfassung nicht in Einklang zu bringen ist. Hinter der Norm steht ein Freiheitsverständnis, welches allein auf die Freiheit von äußerer Beeinträchtigung zielt. Dieses Verständnis ist eingebettet in eine streng liberale und in sich widersprüchliche Wirtschaftstheorie mit einem sozialdarwinistisch geprägten Menschenbild und einer daraus folgenden utilitaristischen Eigennutzethik. Während Diktaturen linker wie rechter Prägung dazu neigen, einen von oben definierten Fremdnutzen zum absoluten Maßstab individuellen Handelns zu machen, führt diese streng liberale Wirtschaftstheorie zur Ausblendung fremdschädigender Effekte eigennützigen Verhaltens. Beide Extreme stellen sich als Mythen dar, welche angesichts ihrer realen Auswirkungen als widerlegt gelten dürfen. Konkret zeigt sich, dass die streng liberale, quasilibertäre Wirtschaftstheorie und damit auch die niedrige gesetzliche Stammkapitalziffer des § 5 Abs. 1 GmbHG anders als behauptet keine pauschal freiheits- und gemeinwohlfördernden Folgen haben, sondern in der Breite mindestens ebenso viel Schaden wie Nutzen stiften.
Lösung durch dynamische und angemessene Kapitalausstattung
Das Grundgesetz weist mit dem Selbstbestimmungsgedanken einen dritten Weg, der eigennütziges Verhalten im Grundsatz fördert, aber fremdschädigende Effekte möglichst zu vermeiden sucht. Überträgt man diesen verfassungsrechtlichen Grundgedanken ins Kapitalgesellschaftsrecht, so kann man die Beschränkung der Haftung der GmbH-Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen ohne Weiteres als Förderung der unternehmerischen Initiative und somit als Grundlage individueller Gestaltungsmacht der Gesellschafter rechtfertigen, da die Beschränkung auf eine bestimmte Vermögensmasse noch nicht zwingend schädlich ist, solange die Masse mit Blick auf die Interessen und die vertragliche Gestaltungsmacht der Gläubiger nur angemessen hoch ist. Kritisch ist also nicht das Ob, sondern das Wie der Haftungsbeschränkung. Der Höhe nach wäre eine dynamische Kapitalausstattung mit Blick auf den Geschäftsumfang und die Verbindlichkeiten des konkreten Unternehmens notwendig. Die Frage nach einer angemessenen Kapitalausstattung der GmbH wird seit Längerem diskutiert und erhält mit dem vorliegenden Werk einen neuen Anstoß aus anderer Perspektive. Um von einer angemessene Kapitalausstattung sprechen zu können, müsste die Eigenkapitalquote deutlich höher liegen als bei den aktuell üblichen maximal 30%. Gesichert werden könnte eine solche höhere Eigenkapitalquote durch verpflichtende Rücklagen und liquiditätsorientierte Ausschüttungssperren, wodurch die Kapitalisierung insgesamt enger an die reale wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens gekoppelt wäre. Eine Pflichtversicherung für deliktische Haftungsrisiken würde im Insolvenzfall die Masse entlasten. Diese Bausteine bedürften der Einbettung in ein stimmiges Gesamtkonzept und langfristiger Übergangsregelungen, um eine allmähliche und risikoarme Anpassung zu ermöglichen.
Rechtfertigung des Nachrangs von Gesellschafterdarlehen
An dieser Stelle schließt sich der Kreis zum eingangs betrachteten § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, denn der insolvenzrechtliche Nachrang von Gesellschafterdarlehen bleibt zwar aus Gläubigersicht hinter einer von Beginn an angemessenen Kapitalausstattung zurück, lässt sich aber bis zum Erlass entsprechender Regelungen als Schritt in die richtige Richtung rechtfertigen.
Zusammenfassung
Zusammenfassend ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsgedanken der Grundsatz der persönlichen Vermögenshaftung für vertragliche Verbindlichkeiten. Will man diese Vermögenshaftung auf eine gesonderte Vermögensmasse beschränken, in diesem Fall auf das Gesellschaftsvermögen der GmbH, so müsste die zur Verfügung gestellte Vermögensmasse aus verfassungsrechtlicher Sicht auch den Gläubigerinteressen angemessen sein. Solange dies nicht der Fall ist, ist es gerechtfertigt, eine Rückforderung von Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz erst nach Befriedigung aller anderen Gläubiger zu gewähren.